Sonntag, 28. April 2013
7 Wochen, 5 Tage, 20 Stunden
Es gibt die schlechten und die ganz schlechten Tage. Und dann gibt es noch die Nächte. Endlich wieder einschlafen ohne wäre schön. Ohne Fernseher, ohne Buch, ohne Radio. Einfach einschlafen und morgens nicht gleich wieder um 8 Uhr zerschlagen aufwachen. In den ersten beiden Wochen habe ich geschlafen, erschöpft und traumlos. Neben dem Bett, das sich Einlegerahmen nennt und ein Pflegebett ersetzt. Erst dachte ich, was wohl die Leute denken werden. Und dann war es mir egal. Nein, es war mir nicht egal. Ich hatte das ganz drängende Gefühl, noch einen Hauch bei ihm zu sein. Am frühen Morgen ist er gestorben und bis zum Nachmittag noch bei uns geblieben. Dann war er weg, das Laken weg und übrig blieb die blaue Antidekubitus- und Therapiematratze. Das war nicht mehr der Mensch und ich war unendlich müde. Und ich trotzte dem Krebs das Bett ab, das Zimmer, die Wohnung. Viele boten mir an, bei ihnen zu schlafen, dort zu bleiben oder bei mir zu bleiben. Das war fürsorglich und liebevoll und rührend. Und nicht für mich. Am Abend kam der Schlaf nach 2 durchwachten Nächten, nach 2 Wochen intensiver Pflege, nach 2 Monaten und 10 Tagen für ihn da sein und nach 3 Jahren und 2 Monaten und 10 Tagen mit dem Krebs. Doch seit ein paar Wochen ist der Schlaf mit ihm gegangen. Nach der Trauerfeier, nach der Beisetzung ist der Schlaf gegangen. Wo ist er hin? Er kann ihn nicht mit sich fortgenommen haben oder doch? Ich habe das beängstigende Gefühl, es geht erst jetzt richtig los, das mit der Trauer. Da muß ich plötzlich weinen, weil ich die Kiste von ihm mit seinen Fotos geöffnet habe. Wie die Büchse der Pandora war es. Zum Glück nicht nur Unheil, aber auch. Fotos aus seiner Kindheit, Fotos mit den Eltern und den Brüdern, Fotos von den Ex. Und von der Arbeit. Zeltlager, Heim, Verein. Und dann die Überraschung: Fotos von ihm in schwarz-weiß und selbst entwickelt. Nie gesehen und wunderschön. Alte Frauen, Landschaften, Menschen in fremden Ländern. Und Fotos in Farbe. Sein Gesicht in verletzlich, in stark, in schön, in männlich, in sinnlich, in träumerisch, in stolz, in glücklich. Und Gesichter, die ich nie an ihm sah und staune. Und doch träume ich von anderen Zeiten, ohne ihn. In Farbe und schwarz-weiß.

... link (1 Kommentar)   ... comment